Städtetour 2016
Am Anfang stand Bordeaux-Paris, eines der ältesten Radrennen. Die
Geschichte reicht zurück bis in die 1890er Jahre. Als 600 km non stop
Event reizte mich die Sportveranstaltung natürlich außerordentlich. Kaum
zu Ende gedacht, habe ich mich dann angemeldet. Um gut eingerollt an
den Start zu gehen, reifte die Idee, auf eigener Achse von zu Hause nach
Bordeaux zu radeln. Dann mit dem Peloton nach Paris und von dort per
Flieger retour.
Einige Tastendrücke und Mausklicks später waren Hotels in Bordeaux und Paris, sowie der Rückflug gebucht.
Einige Wochen später wurde die Veranstaltung leider abgesagt. Einzig das Hotel in Bordeaux konnte ich kostenfrei stornieren.
Somit wurde eben eine Tour um den Rückflug von Paris aus gestrickt. In der Folge radel ich nun über London nach Paris.
Der erste Tag verlief schon einmal super. Morgens mit dem Rad zur
Arbeit. Ein paar Stunden arbeiten bis das Rad im Büro zu unruhig wurde
und dann bei Sonnenschein und Rückenwind aus Nordost bis Hemmoor. (163
km)
2. Tag 13.5.
Ein wirklich Radfahrer freundliches Frühstück ist ein guter Start in den Tag. Die Bedingungen sind fantastisch. Bereits beim morgenlichen Start verzichte ich auf Arm- und Beinlinge. Und es ist vollkommen in Ordnung. So fühlt sich der lang ersehnte Sommer an. Ich habe gute Beine und komme bestens voran. Das leichte Gepäck und der Rückenwind bleiben natürlich nicht ohne Wirkung. Drei Stunden und 76 km später erreiche ich die Weserfähre. War die Landschaft bisher angenehm abwechslungsreich, empfängt mich nun eine Marschlandschft mit all ihren spärlichen Attributen.
Det Wind kommt immer vorlicher aus N bis NNW. Dennoch halte ich die Pace hoch und hoffe, mir einen kleinen Puffer an Kilometern zu erfahren. Denn auch der Blick zum Himmel kündigt eine Wetteränderung an.Nach einer kleinen Erkundungsfahrt durch das schöne Leer, setze ich meine Fahrt fort und überquere noch die Grenze zu den Niederlanden. Das erste freie Quartier ist meins. Nieuweschans, 182 km, total 345 km
3. Tag 14.5.
Der Wind heult, der Dachstuhl knarzt wie ein alter, hölzerner Lastensegler. Es ist tief in der Nacht. Ich drehe mich herum und versuche wieder einzuschlafen.
Der Start erfolgt bei 8 Grad Celsius, Starkwind aus NW und schweren Regenschauern. Zum Glück kommt zwischenzeitlich auch die Sonne zum Vorschein. In tiefer Haltung im belgischen Stil trotze ich dem Wind und komme noch immer relativ flott voran. Es ist aber nicht zu leugnen, dass die Sache Körner kostet.
In Groningen lege ich eine Pause ein und genieße das bunte Treiben sowie die stylischen Fahrräder. Bei der Weiterfahrt wird mir wiedet bewußt, welchen Vorteil die Navigation per Garmin bietet. Bei der Vorbereitung habe ich schmale Wirtschaftswege ausgesucht. Nun genieße ich das sorglose Fahren auf Wegen, die ich per Papierkartennavigation niemals gefahren, geschweige denn gefunden hätte. In Leeuwarden ist dann dad Tagewerk getan. 119 km, total 464 km
4. Tag 15.5.
Hossa! Ist denn schon wieder Herbst?
Der Witterung folgend, liegt die Vermutung jedenfalls nahe. Bei morgendlichen acht Grad Celsius und nordwestlichen sechs Beaufort ziehe ich alle Kleidungsregister. Lange Hose und Armlinge sowieso, Überschuhe, Handschuhe, Wintermütze und die Windjacke, solange es viertelwegs trocken bleibt. Die Regenjacke ist griffbereit verstaut. Aber bei meinem Minimalgepäck ist ja eh alles griffbereit.
Die Strecke bis Harlingen bringt wieder Wind von vorne rechts. Dann wird es spannend. Nicht nur weil die Passage über den Afsluitdijk bevorsteht, sondern weil der Kurs auch etwas südlicher ausfällt. Reicht das für achterlicher als querab? (Auf Radfahrerdeutsch: Rückenwind) - Nein. Es bleibt purer Seitenwind. Zum Glück schützt der seeseitige Deich vor dem Gröbsten. Auf der Deichkrone im Schleusenbereich kann ich jedoch kaum geradeaus fahren.
Wieder auf dem Festland geht es in Richtung Alkmaar weiter. Über viele Kilometer grübele ich. War es ein Unfall, war es Mord, wollte jemand Hose und Gummistiefel entsorgen? Oder ist es Kunst?
In Alkmaar streife ich mit dem Rad durch die Gassen und erfreue mich an dem Treiben in den Gassen. Anschließend fahre ich noch bis Castricum und beziehe Quartier in einem ehemaligen Rathaus von 1911. Und das Beste des Tages. - Ich bin trocken geblieben. Obwohl ich desöfteren auf nasse Straßen gestoßen bin. 130 km, total 594 km
5. Tag 16.5.
Für einen Radfahrer sollte ein Tag mit einem guten Frühstück beginnen. Hat er auch, jedenfalls fast. Eine Stunde vor der Frühstückszeit werde ich wach. - Vor Hunger… Bei dem fantastischen Angebot bediene ich mich dann gerne. Das Futter reicht dann auch fast bis zur Fähre in Hoek van Holland. Die Route führt durch stark urbanes Gebiet. Das ist gewöhnungsbedürftig, war ich bisher doch ausschließlich ländlich unterwegs (also von den Stadtdurchfahrten abgesehen). Die Beschilderung für Radfahrer ist absolut vorbildlich. Selbst bei großen Straßenbaustellen werden werden gesonderte Umleitungen für Radler ausgewiesen.
Küstenabschnitt kurz vor Hoek van Holland
Die gefühlt 1.000 Ampeln vereiteln ein wirklich zügiges Vorankommen. Letztendlich ist das jedoch nicht tragisch, da das Boarding erst um 18.30 möglich ist. Na toll. Es gilt also noch mehr als viereinhalb Stunden zu überbrücken, ohne zu erfrieren…haha. Die Warterei gestaltet sich dann kurzweilig. Ich gerate in einen Haufen britischer Motorradfahrer, die mein Rad ebenso interessiert begutachten, wie ich ihre alten britischen Maschine (Matchles, AJS …). Classic meets classic. Da hat man schnell eine Wellenlänge… Hoek van Holland 96 km, total 690 km
Auch was schön Altes auf zwei Rädern.
Warten in Hoek van Holland
7. Tag, 18.05.2016
Ein Tag der Premieren. Zum ersten Mal mit dem Rad in London, zum ersten
Mal nasse Füße auf dieser Tour und zum ersten Mal im Leben die Queen
gesehen.
Aber von vorne begonnen. Die rund acht Kilometer zur Tower Bridge
vermitteln mir einen Teil der großen Faszination und Einzigartigkeit von
London. Es ist eine unglaublich bunte Stadt mit extrem
unterschiedlichen Menschen und Kulturen.
Und in London wird Rad gefahren. Für mich völlig überraschend viele
Radler setzen beim Alltagsverkehrsmittel auf’s Rad. Bevorzugt werden
Rennräder und Single Speed Räder. Nebenbei bemerkt ist es auch dad
schnellste Individualverkehrsmittel. Ansonsten erstickt London im
Verkehr.
Mein nächstes Ziel ist der RAPHA Store. Zuverlässig führt mich der Garmin Navigator ans Ziel. Der Laden weist ein integriertes Café auf und ist super stylisch. Und selbstverständlich gibt es Radhalter und -Ständer IM Laden. (In London wird geklaut was das Zeug hält.) Ich werde auf mein sonnenverblichenes Trikot angesprochen und schon landet das Gespräch beim Transcontinental Race 2015. Ich werde freundlich bedrängt ausführlich zu berichten und werde im Gegenzug mit Kaffee und Kuchen versorgt…
Das anschließende Verlassen der Stadt stößt auf ungeahnte
Schwierigkeiten. Wesentliche Bereiche meiner geplanten Route sind
gesperrt, da Frau Königin mit ihrer Kutsche vom Palast zum Parlament zu
fahren gedenkt. Das Spektakel lasse ich mir nicht entgehen und stehe mit
vielen Briten am gut gesicherten Straßenrand, als sie dann in naher
Distanz vorbei kutschiert.
Bei der anschließenden Weiterfahrt nimmt der Regen zu, so dass es nur
eine Frage der Zeit ist, bis die Füße trotz Überschuhe nass sind. Auf
der heutigen Route sind die Vororte bürgerlicher. Nach rund 30
Kilometern bin ich wieder im Grünen und das Lauteste um mich herum ist
Vogelgezwitscher. Wie schön, nach all dem Großstadtgetümmel.
Da ich eh nass bin und nur durch Bewegung warm bleibe, fahre ich bis Brighton durch. 107 km, total 932 km
8. Tag 18.05.2016
Sonnenschein zum Frühstück, mit Blick auf das Meer. Was will man mehr?
Gemütlich rolle ich wenig später an der nördlichen Küste des englischen
Kanals entlang. Die Grundtemperatur der Luft ist noch immer kühl und der
mäßige SW Wind kühlt den Körper aus. Dagegen hilft nur in Bewegung zu
bleiben oder windgeschützt in der Sonne zu sitzen. Beides zelebriere ich
heute in einem ausgewogenen Verhältnis.
Zum Teil gibt es nette Radwege entlang der Promenaden. Ansonsten sind
die kleineren und größeren Landstraßen überaus brauchbar. Obwohl überaus
(zu) schnell gefahren wird, überholt mich kaum ein Autofahrer mit
weniger als eineinhalb Meter Abstand. Da die Straßen wirklich schmal
sind, kommt es zu sehr riskanten Manövern. Aber ausschließlich zwischen
den Autos. Ich ziehe mehr als einmal den Kopf ein, da ich zersplitternde
Außenspiegel befürchte. Da passt dann kaum mehr eine Sunday Times
zwischen. Vielleicht gibt es in UK ja einen schwunghaften Handel mit
rechten Außenspiegeln…
Ich gleite an der Küste entlang und genieße die maritime Szene.
Portsmouth ist DER Hafen der Royal Navy. Wer sich näher für das Thema
interessiert kann dort bestimmt eine gute Woche ohne Langeweile
verbringen. Ich genieße einfach die Kulisse aus großer Historie und
modern umgenutzter Werftbereiche.
Zudem setze ich von dort zur Isle of Wight über. Für Segler ist das ein
fester Begriff. Seit 1826 wird, initiiert von der Royal Yacht Squadron ,
jährlich die Cowes Week ausgetragen. Dagegen ist die Kieler Woche
neumodischer Kram. Der Royal Ocean Racing Club unterhält im Yachthafen
von Cowes ein Clubhaus und richtet seit 1957 alle zwei Jahre den
Admirals Cup mit dem Fastnet Race aus. Da will ich mich dann morgen mal
umschauen. Newport, 100 km, total 1.032 km
9.Tag 20.05.2016
Lazy Day! - Nach mehr als 1.000 km gönne ich mir eine entspannte Halbetappe. Zuvor mache ich mich jedoch in der Nacht an dem Spülkasten des WC meines Hotelzimmers zu schaffen, da es mitten in der Nacht anfing zu plätschern. Aber ich bastel ja gerne mal an der Technik von Hotelzimmern herum. (Bevorzugt sind Rollladenkästen auf dem Balkan…)
Morgens lockt dann zur Belohnung die Sonne. Es bleibt aber kühl und der frische Südwest hat Wolken in seinem Gepäck. Auf zum Teil schmalen und verwunschenen Wegen geht es gemütlich nach Cowes. Ich tingel durch den netten Ort und verfolge anschließend das Treiben im Yachthafen, wo Vorbereitungen für eine Regatta getroffen werden.
Der Ort ist auch für die ‘Beken of Cowes’ bekannt, einer Familie von
Fotografen aus Cowes. Der Name steht seit 1888 für Yachtfotografie
besonderen Stils. Der Begründer hat dazu zunächst eine eigene Kamera
entwickelt, da die damaligen Balgenkameras auf dem Meer nicht
widerstandsfähig genug waren. Mit seinem Ruderboot ist er dann in den
rauen Solent gefahren, um genau ein Foto aufnehmen zu können. Die
Glasplatte musste anschließend an Land gewechselt werden.
Ich cruise noch etwas über die grüne und beschauliche Insel, bevor es
mit der Fähre von Yarmouth nach Lymington geht. Zurück auf der großen
Insel lasse ich mir ebenfalls Zeit zum Schauen und Verweilen. In
Bournemouth gelingt es mir direkt am Wasser bzw der Promenade
entlangradeln zu können. Somit bleibt mir der Stadtverkehr erspart. Die
Strandbadehäuschen sind britisch bunt.
Entgegen meiner ursprünglichen Planung entdecke ich eine Fähre auf die
Studland Peninsula und erspare mir den Stadtverkehr von Poole. In dem
gemütlichen Swanage beziehe ich ein Quartier und lasse den Tag
ausklingen.
84 km, total 1.116 km
10. Tag, 21.05.2016
Southwester - Wäre diese praktische, wasserdichte Kopfbedeckung für
Seeleute nicht schon längst erfunden worden, hätte ich sie heute
erfunden. Die charakteristische nach hinten gerichtete breite Krempe
verhindert das Eindringen von Wasser in die Kleidung. Und das ist auch
bitter notwendig. Der starke Südwestwind treibt hier den Regen durch
alle Ritzen.
Von London nach Brighton begleitete mich Regen mit NW Wind. Der starke
SW der letzten beide Tage verblüffte mich dann dahingehend, dass ich
trocken blieb. Heute war es dann aber soweit. Der Südwest macht seinem
(schlechten) Ruf alle Ehre.
Anfangs finde ich die Sache noch erträglich. Der Regen ist nicht all zu
stark und vor allem auch wärmer als vor drei Tagen. Auf dem Rad lernt
man auch die Nuancen zu schätzen. Die Strecken sind zum Teil wieder
zauberhaft und ich erfreue mich am gepflegten britischen Country Style.
Alles sehr gediegen. Die eher kleine Hafenstadt Weymouth hat viel mehr
Charakter als die großen Seebäder.
Der Regen erreicht die volle Stärke und läßt sich auch durch gute
Stimmung nicht ignorieren. Die Steigungen werden immer bissiger und der
Südwest von vorne links kostet zusätzlich Körner. An exponierten Stellen
beuteln mich bissige Böen, sodass Geradeausfahren schon eine gewisse
Konzentration erfordert. Bei der Fahrt durch Abbotsbury verspüre ich im
Gegensatz zum Vormittag keine Lust mehr zum Fotografieren. Obwohl das
Ortsbild mit einheitlich aus Naturstein errichteten Häusern interessante
Motive bietet.
Anschließend geht es eine Steigung hinauf, die der eines großen
Alpenpasses würdig ist. Ich habe keine Ahnung wie hoch es geht, aber es
reicht aus, um voll ins Kondensationsniveau der ohnehin feuchten Luft zu
fahren. Es gießt wie aus vollen Eimern, die Sichtweite beträgt noch
rund 50 m und der Wind zehrt am Lenker. Südwest-Wetter.
In Bridport streiche ich früh nachmittags die Segel. Mit Mühe gelingt es
mir ein Zimmer im Tiger Inn zu ergattern. Nach der Dusche wärme ich
mich erst einmal eine Runde im Bett auf und dann wird es gleich runter
in den knalle vollen Pub gehen. Dort laufen Rugby Übertragungen und
bereits jede Menge Bier. Ich bin sicher, dass sich morgen nicht jeder an
das letzte Spiel erinnern wird…
Bridport, 78 km, total 1.194 km
11. Tag 22.05.2016
Alle Hände voll zu tun. - Das gab es heute. Für die Fortbewegung per Rad
eigentlich erstaunlich. Aber das Radfahrerleben hat ja so seine Tücken.
Der Start fand zwar im Trockenen statt, aber nach nicht ganz einer
halben Stunde wechsele ich von der Windweste zur Regenjacke. Im Grunde
ist es auch egal. Da es im Tiger Inn keine Heizungsaktivitäten gab, sind
die Socken und die Schuhe eh noch feucht. Daher macht der Regen jetzt
keinen so großen Unterschied.
Einen großen Unterschied macht jedoch die Topographie. Und zwar zwischen Berg und Tal. Daher ist viel Handarbeit gefragt. Reißverschluss auf und zu, ist die Klimaanpassung zwischen Berg- und Talfahrt. Das läßt sich natürlich locker während der Fahrt erledigen. Die Steigungen hier in Devon sind knackig. An den Landstraßen stehen hin und wieder Hinweisschilder…. Ich fahre aber wieder viel über total verwunschene Wege. Mir liegt das Fahren in dem extrem wechselhaften Gelände sehr. Weitere Handarbeit in Form von pfiffigem Schalten hilft die Trittfrequenz konstant zu halten. Und die sehr präzisen und kurzen Schaltwege der Campagnolo Schaltgruppe helfen bei der Freude am Schalten.
Ab Mittag läßt sich sogar wieder die Sonne blicken. Da macht nicht nur das Fahren mehr Spaß. Auch die Ausblicke werden wieder richtig grandios. Ich genieße neben den abgeschiedenen Farmen und Dörfer in Binnenland, die kleinen beschaulichen Küstenstädtchen.
Nach 1.768 Höhenmetern auf einer Distanz von 90 km, beziehe ich mein
Quartier in Torqauy. Das Rad darf mit auf’s Zimmer, was mir eh am
liebsten ist. Im Pub des Hauses lasse ich den absolut runden Tag mit
Futter, Cider und netter Gesellschaft ausklingen. Strecke total 1.284
km.
12. Tag 23.05.2016
Achterbahn fahren - Riesenräder sind in etlichen britischen Seebädern zu
finden. Richtig Spaß macht jedoch Achterbahnfahren. Und genau das steht
auf dem Programm des letzten Tages auf der britischen Insel. Es gelingt
mir, fast die gesamte Strecke bis Plymouth auf meinen Lieblingswegen
zurückzulegen. Da ist 'Kette links’ angesagt. Die Steigungen kommen mir
zum Teil noch knackiger als gestern (bis zu 20%) vor. Mit einem
Dreifachkettenblatt, etwas Übung in den Beinen und wenig Gepäck, geht
das mühelos. Die Wege sind rau und weisen wechselnde oder auch mal gar
keinen Belag auf. Das ist sicher nichts für Carbonfelgenfahrer mit acht
Speichen. Meine Laufräder mit jeweils 36 dreifach gekreuzten Speichen
und 28 mm Reifen stecken souverän eine Menge Menge weg. So lasse ich es
denn auch bergab ordentlich laufen und pflüge ich durch die wunderbare
grüne Landschaft. Das ist besser als Achterbahnfahren.
Einmal taucht verblüffender Weise vor mir ein 'Verkehrshindernis’ auf…
Ich rolle dann eine Weile neben der Bäuerin her und wir führen eine
sehr angenehme Unterhaltung. So etwas schätze ich bei den Briten sehr.
Eine recht gute Radinfrastruktur leitet mich dann von der Peripherie ins
Zentrum. Es ist erst Mittag und so strolche ich etwas durch Plymouth
und verbringe den Nachmittag in der Sonne am Wasser.
Das Embarking für die Fähre ist erst um 1900. Es trudeln noch andere
Reiseradler ein, so dass wir bald eine kleine illustre Runde sind, in
der interessante Geschichten ausgetauscht werden. Aus verschiedenen
Gründen, aber zum größten Teil wegen Missmanagement, kommen wir Radler
erst um 2130 an Bord. Spontan fällt mir ein naheliegender Vergleich mit
einer großen dutschen Eisenbahngesellschaft ein. “Thank you for
travelling with…Brittany Ferries”.
1.060 Höhenmeter, 60 km, total 1.344 km
13. Tag 24.05.2016
Ironie - Brittany Ferrirs und ich werden keine guten Freunde. Mit einen
guten Frühstück hätte ich mich vielleicht noch rumkriegen lassen. Aber
die Chance wurde verwirkt. Irgendwie ist der gesamte Bordbetrieb relativ
chaotisch. Beim Disembarking laufen definitiv zu viele Leute mit zu
wenig Streifen auf der Schulterklappe herum und geben zum Teil völlig
widersprüchliche Anweisungen.
Egal. Ich bin froh von Bord zu sein und freue mich die Sonne zu sehen.
Ich radel zunächst ein Stündchen an der Küste entlang und lege dann ein
richtiges Frühstück, mit richtigem Kaffee ein. Wie wunderbar. Willkommen
in der Bretagne.
Konsequent folge ich der Küstenlinie und fahre diese auch aus. Baie de
Morlaix, Baie de Lannion, Côte de Granit Rose… Das ist hier der
Hammer. Hinter jeder Kurve bieten sich neue spannende und phantastische
Ausblicke. Ich nehme mir Zeit zum Schauen, Verweilen und auch zum
Fotografieren. (Schließlich ist das Urlaub und kein Rennen…smile.)
Sonnenschein, blauer Himmel und türkisfarbiges Wasser. Und Ostwind! Und zwar der Stärke 5 bis 6 Beaufort. Ironie der Geschichte Ich fahre eine Küste mit gefürchteten Westwinden entlang und habe Ostwind, also Wind von vorne. Aber es ist mir ehrlich gesagt egal. Zum ersten Mal seit 10 Tagen fahre ich wieder in kurzer Hose und ich erfreue mich einfach an der aufregenden Küstenlandschaft mit den pittoresken kleinen Häfen.
Die Steigungen sind hier übrigens längst nicht so steil wie auf der
Nordseite des englischen Kanals. Für die meisten Steigungen reicht das
mittlere Kettenblatt aus. Und da die Straßen von weitaus besserer
Qualität sind, fahre ich bergab auch schon mal 'Kette rechts’.
Perros-Guirec, 1.350 Höhenmeter, 122 km, total 1.466 km
14. Tag 25.05.2016
Nicht lustig - Aller Ironie zum Trotz finde ich es heute nicht so lustig
mit dem Gegenwind. Der Himmel ist grau und trostlos. Es ist so kühl,
dass ich fast dazu neige Überschuhe, Handschuhe und Wintermütze
einzusetzen. Ich versuche es dennoch ohne.
Zum Glück kann ich mich ein paar Kilometer einrollen und warmfahren,
bevor die erste Steigung für das ganz kleine Kettenblatt und das ganz
große Ritzel kommt. Im kalten Zustand mag ich so etwas nicht. Die
nächsten beiden Landzungen lasse ich aus, da mir sonst die Zeit etwas
knapp wird. Ich quere das Binnenland nach Osten. Irgendwie komme ich
heute nicht richtig in den Tritt. Wenngleich hier in der Bretagne viel
mehr Möglichkeiten bestehen, direkt an der Küste entlang zu fahren, was
ich wirklich großartig und atemberaubend finde, so kann das Binnenland
nicht mit der britischen Insel mithalten.
Manches ist nett, vieles wirkt aber auch trostlos. Ich finde durchaus
ähnliche schmale Wege, aber auch die können landschaftlich nicht
mithalten. Auch vom Belag her sind sie nicht vergleichbar. Entweder sind
sie viel besser oder viel schlechter. Eine Schotterpassage bleibt nicht
aus. Frei nach der Aussage des Führers eines submarinen Fahrzeuges aus
der deutschen Filmgeschichte sage ich mir - Das muss das Rad aushalten.
(Tut es natürlich auch.)
Als ich in einem Kreisverkehr einen Leuchtturm entdecke, muss ich dann aber doch schmunzeln und die Stimmung hellt sich etwas auf. Im Hafen von Binic esse ich das beste Crêpes meines Lebens. Mit Chocolat noir für 1,50 Euro. Als dann auch die Sonne wieder zum Vorschein kommt, finde ich meinen soliden runden Tritt wieder und kurbel vergnügt bis Pleherel Plage, 7 km südwestlich vom Cap Fréhel. Ein guter Ausgangspunkt für morgen.
Noch ein kleiner Hinweis. Ich bin kein Statistik-Freak und kurbel das
Gelände einfach weg wie es kommt. Die Höhenmeter führe ich jedoch mit
an, damit sie eine Orientierung geben, falls sich jemand für eine
Radtour in diesen aufregenden Küstenlandschaften interessiert. Als
Faustformel für die Länge der Tagesetappen empfehle ich folgende.
Britische Südküste = Flachlandetappen × 0,5
Bretagne = Flachlandetappen x 0,7
Wobei mit Flachlandetappen die Distanz gemeint ist, welche man bei
mäßigen Bedingungen mit dem jeweiligen Tourengepäck zuverlässig im
Mittel fahren kann.
Pleherel Plage, 1.370 Hm, 134 km, total 1.600 km
15. Tag, 26.05.2016
Rund - Ein absolut runder Tag, von Anfang an. Da es erst um 0830 Frühstück gibt, kann ich gemütlich ausschlafen. Das kleine gemütliche Hotel lädt wirklich zum Verweilen ein, aber um 0930 geht es dann los. Und zwar bei Sonnenschein.
Die Strecke zum Cap Fréhel ist absolut grandios. Am Cap gibt es dann auch einen 'richtigen’ Leuchtturm zu sehen. Vor dem nächsten touristischen Halt in St. Malo steuer ich einen Decathlon Sportsupermarkt südlich von St. Malo an. Ich bin mir beim Vorderreifen nicht sicher, ob ich die Reste von Negativprofil sehe oder ob es sich um feine Risse handelt. Da ich die Sache weder wissenschaftlich untersuchen, noch bis zum letzten ausreizen will erstehe ich sicherheitshalber einen Faltreifen. Nachdem dieser verzurrt ist geht es weiter.
Zwischen St. Malo und dem Mont St. Michel sehe ich Fischereifahrzeuge, die dieser Bezeichnung wirklich gerecht werden. Viel mehr beschäftigt mich allerdings das hinter mir aufziehende Unwetter. Somit kurbel ich was die Beine hergeben, um möglichst lange trocken zu bleiben. Ich habe Glück und bleibe bis auf ein paar Tropfen verschont.
Der Ort vor dem Mont St. Michel ist Startort der diesjährigen Tour de France. Der gesamte Ort ist schon für den Grand Depart am 2. Juli dekoriert.
Ich radel noch bis nach Mortain weiter, wo ich nach 160 km und 1.180 Hm ankommme. Total 1.760 km
16. Tag, 27.05.
Revue - Das Frühstück in der Unterkunft wird zu einer interessanten
Insider Runde. Bei meiner gestrigen Ankunft fielen mir natürlich sofort
die rund zehn anderen Fahrräder im Unterstand auf. Somit werden
Frühstück und Startvorbereitungen sehr kurzweilig.
Am besten, nach meinem eigenen (smile), gefällt mir ein Rad von 'Alex
Singer’. Wer den Film 'Brevet’ gesehen hat, dem dürfte der Name ein
Begriff sein . Das Rad ist absolut klassisch. 531er Reynoldsrohr, schön
verzierte Muffen….
Ansonsten verläuft der Tag angenehm ereignislos, so dass ich die
Gelegenheit habe, die bisherige Tour Revue passieren zu lassen. Nach
einer halben Stunde im kühlen Nebel kommt die Sonne heraus und sie
begleitet mich den ganzen Tag. Die Route führt wieder über kleine
Landstraßen und ich bin mit dem Verlauf sehr zufrieden.
Erstaunlicher Weise kommen heute auch noch einmal 1.500 Höhenmeter
zusammen. Aber ich finde alles recht flüssig fahrbar. Noch 120 km bis zu
meiner Unterkunft in Paris.
Ich kenne nicht den genauen Streckenverlauf von Paris-Brest-Paris. Aber
ich traue mir nun ein gewisses generelles Urteil über die Topographie
zu. Und daher möchte ich den PBP-Absolventen, von denen ja auch der
Altonaer Bicycle Club einige vorweisen kann, meinen tiefen Respekt
aussprechen.
I"Aigle, 140 km, total 1.900 km
17.Tag, 28.05.
Das Ziel ist das Ziel - Und der Weg dorthin kann bis zum letzten Meter spannend sein. Mit der lässigen Gewissheit fast am Ziel zu sein, habe ich gestern Abend auf den Abgleich zwischen analoger Straßenkarte und der gespeicherten Garmin Route verzichtet. Das bezahle ich mit fünf Kilometer Umweg und der entsprechenden Zeit. Denn Herr Garmin und ich sind uns beim Start alles andere als einig.
Auf der richtigen Route unterwegs, geht es nach Osten. Anfangs ist es feuchtkalt und nebelig. Verglichen mit den vergangenen sechzehn Tagen ist die Landschaft relativ trist. Irgendwann löst die Sonne den Nebel auf. Die Landschaft erscheint nun grüner, aber ebenso trist. Immerhin komme ich auf wenig frequentierten Landstraßen gut voran.
Nach dem Mittag braut sich im Westen ein wenig Vertrauen erweckendes Gewitter zusammen, welches in meine Richtung zieht. Auf freier Flur möchte ich da ganz bestimmt nicht hinein geraten. Daher düse ich im Einzelzeitfahrmodus von Dorf zu Dorf, um gegebenfalls Schutz vor Blitz und Donner zu finden. Wieder habe ich Glück und bleibe bis auf ein paar fette Tropfen vor Schlimmerem verschont.
Ich erreiche die Peripherie von Paris und der Garmin Navigator führt
mich sicher nicht auf dem kürzesten, aber auf dem für Radler schlausten
Weg zielstrebig zur vorgebuchten Unterkunft.
Noch immer blitzt und donnert es im Westen. Erleichtert und vor allem
tief zufrieden steige ich vom Rad. Ich habe mein Ziel erreicht. Und es
war wirklich spannend bis zum letzten Meter.
Für heute lege ich die Füße hoch. Aber morgen geht es nach Paris rein. Natürlich auf dem Rad…
Paris, 137 km, total 2.037 km
Andreas Th. / 13.-28.5.2016