In kleiner Runde bewegten wir uns gestern durch
Altona und sind auf den Spuren von Gregers Nissen gewandelt/geradelt.
Johanniskirche, Schule Bernstorffstr., Waterloohain, Palmaille, Altonaer
Bahnhof, Fischers Allee waren die Stationen. Gregers Nissen wurde am 3.
Mai 1867 geboren. Gestern war sein 150. Geburtstag.
Der
„junge“ Gregers Nissen mit seinen Vereinskameraden vom Eckernförder
Radfahrverein All Heil von 1887, hält in der Bildmitte das Hochrad fest.
Von Oliver Leibbrand
Fahrradfahren,
Fahrradtouren, Radwege und Reiseliteratur: Schon vor rund 120 Jahren setzte
sich der nordfriesische Volksschullehrer Gregers Nisssen für die Akzeptanz des
Fahrradfahrens ein
Der junge Student
Gregers Nissen gehörte zu den Fahrrad-Pionieren im Norden Deutschlands. Er
kaufte sich ein handgearbeitetes Hochrad aus Eisen für die damals sehr hohe
Summe von 300 Mark und setzte es in Stand. Nissen zog zum Studium 1885 nach
Eckernförde und gründete dort mit Gleichgesinnten den „Radfahrverein
Eckernförde von 1887“.
Geboren wurde Gregers
Christian Nissen, so sein vollständiger Name, am 3. Mai 1867 als Bauernsohn in
dem nordfriesischen Ort Soholm. Beide Eltern starben an Tuberkulose. Der Lehrer
und Organist Hans Carl Carstensen, aus dem nahegelegenen Leck, nahm den
verwaisten Jungen auf und förderte ihn. Mit dem Verkauf des elterlichen Hofes
wurde das Studium in Eckernförde finanziert. Nach dem Abschluss seines Studiums
wurde Nissen Volksschullehrer und 1890 nach Altona versetzt. Er heiratete die
Tochter seines Ziehvaters Johanna Wilhelmine Carstensen. Schon ein Jahr davor,
1889, war der erste Sohn Georg geboren worden, dem noch neun weitere
Geschwister folgten.
Um seine Großfamilie
zu ernähren und seinem teuren Radsport nachzugehen, arbeitete Nissen neben seiner Tätigkeit
als Lehrer auch als Organist, leitete einen
Kirchenchor und spielte Klavier in Hamburgs „gutsituierten“ Kreisen.
Darüber hinaus gab er Nachhilfeunterricht und komponierte. Neben seinen Hobbys
der Malerei und Fotografie schaffte er es auch noch seiner größten
Leidenschaft, dem Radsport, nachzugehen.
Seit 1891 hatte er
den Vorsitz des Altonaer-Bicycle-Clubs von 1869/80 übernommen. Hier versammelte
sich das Bürgertum und die Schwerpunkte lagen beim Wanderfahren, Saalsport
(Kunstradfahren, Radball und Radpolo) und regelmäßigen gesellschaftlichen Zusammenkünften.
Nissen
setzte sich Zeit seines Lebens besonders für den gesundheitlichen Nutzen des
Radfahrens ein. Das sogenannte Radwandern und der Radtourismus lag ihm
besonders am Herzen. Er hatte zahlreiche Führungspositionen in
verschiedenen Verbänden inne und entwickelte als Wanderfachwart ein besonderes
Engagement für den Radwegebau. So forderte er Wanderwege für Radfahrer in ganz
Deutschland und Europa, Radwege in den Städten, freie Überschreitung der
Grenzen und Radfahrerheime in Stadt und Land. Der renommierte
Radsportjournalist, Fredy Budzinki, erinnerte sich zum 100. Geburtstag Nissens
unter der Überschrift: „Der König der Wanderfahrer, Der Vater der Radwege Von
Gregers Nissen haben wir`s gelernt! Gregers Nissen unvergessen“ an die Reaktion
auf diese Forderung: „Man hielt ihn für einen armen Irren, aber er hielt mit
der Zähigkeit des alten Friesen an diesen Plänen fest.“ Im Mai 1892
organisierte Nissen eine Huldigungsfahrt von über 100 Radfahrvereinen vom
Deutschen Radfahrer-Verband (DRB) nach Friedrichsruh zu Otto von Bismarck, die
großes Aufsehen erregte. Rund 2.000 Teilnehmer formierten sich am Ziel auf
einer Lichtung im Sachsenwald vor dem Fürsten und seiner Frau zu einem
Ehrenspalier.
Als
Mitarbeiter des internationalen Touristen-Verbandes setzte sich Nissen über die
Grenzen hinweg für den Radtourismus ein. Für seine Leistungen wurde er vielfach
ausgezeichnet. 1912 half er die Radsportwettbewerbe bei den Olympischen Spielen
in Stockholm zu organisieren. Im gleichen Jahr gründete er den „Radfahrbund von
1912“. Dort wurden auch „Jugendradfahrübungen für militärische Zwecke
angeboten.“ 1922 kam Nissens umfangreiches Werk mit dem Titel „Hand- und
Auskunftsbuch für Alt und Jung – Das Wanderfahren auf dem Rade“ heraus. Es
behandelte zahlreiche Aspekte rund um das Fahrradfahren und -touren wie
Speisen, Zelt-Lagerleben, Fahrvorschriften in anderen Ländern, Ausrüstung und
Karten
Gregers
Nissen, im Kreise zweier Mitstreiter bei einer seiner „berühmt, berüchtigten Alte
Herrenfahrten“
Als die
Radsportverbände durch die Nationalsozialisten gleichgeschaltet wurden, zog
sich Nissen zunächst aus fast allen Ämtern zurück. 64-jährig wurde er von der
neuen NS-Verbandsführung zum Führer der Radfahrerschaft im Gau Nordmark berufen.
1933 leitete er vom 25. Juli bis 4. August die Altherrenfahrt (die Teilnehmer
sollten älter als 50 Jahre sein) durch Schleswig-Holstein. Sie war ursprünglich
als Dänemark-Fahrt geplant, verblieb jedoch innerhalb deutscher Grenzen. Weiterhin engagiert
meldete sich Nissen in den darauffolgenden Jahren in der Zeitschrift Der
Deutsche Radfahrer zu Wort. Dort erschien am 24. Juni 1942 sein Nachruf. Zu
Lebzeiten soll er gesagt haben: „Das Radfahren hat mich stark und gesund
erhalten. Ich will hundert Jahre alt werden“. Gregers Nissen starb am 20. Juni
1942 in Altona.
“Die ganze Gegend bis Stade hinunter führt im Volksmunde den bezeichnenden Namen ‘Kirschenland’, auch das 'Alte Land’ genannt. Ortschaft reiht sich an Ortschaft; vor dem schönen Fusspfad in dem lang und schlecht gepflasterten York möchten wir indessen warnen, die löbliche Ortspolizei hat auf die passierenden Radfahrer ein gar wachsames Auge. Sobald man das 'Alte Land’ betritt, glaubt man sich in eine ganz andere Weltgegend versetzt . Alles ist hier anders, als sonstwo in den Marschen: die Gegend, die Benutzung des Bodens, die Sitten, der Gruss, ja sogar die Gesichter. Die Frauen sind schön, schlank, mit schönem Teint und tiefblauen Augen. Mit Zähigkeit halten die Altenländer an ihrer alten flandrischen Tracht fest. Während die übrigen Marschen eine ebene, wiesenartige Oberfläche zeigen, so gewahrt man hier dagegen den buntesten Anblick der Welt. Alles ist mit den verschiedenartigsten Obstbäumen bewachsen, kaum einen Blick auf die hübschen Häuser zulassend. – Hier ist das Kirschen-, Apfel- und Pflaumenmagazin für fast ganz Norddeutschland. Zieht man nun gar im Monat Mai dieses Weges, so radelt man in facto auf blumigen Pfad; alles ist unter Blüten begraben. Einen gleichen landschaftlichen Reiz in Deutschland bietet uns nur die alte berühmte 'Bergstrasse’ in der Pfalz.”
In der Ausgabe von 1923 des Sport-Albums der Rad-Welt (S. IV) erschien diese Werbeanzeige. Angepriesen wird u.a. Gregers Nissens “Das Wanderfahren auf dem Rade”, ein “unentbehrliches Auskunftsbuch für jung und alt”. “Hier sind alle Erfahrungen niedergelegt, die für den Wanderfahrer von Wert sind.” Das Buch fehlt uns im Übrigen noch, falls jemand einmal darüber stolpern sollte …
150 Ausflüge in Hamburgs Umgebung und in die Lüneburger Heide. Mit 23 Karten. [MitTipps für Radfahrer von Gregers Nissen], 17. Aufl., Hamburg 1912/13:
Verlagsanstalt und Druckerei-Gesellschaft (Richters Reiseführer).
Von Lars Amenda
Wozu in die Ferne
schweifen? Das dachten mit Blick auf die Hamburger Bevölkerung auch die Herausgeber von „Richters Reiseführer“ und veröffentlichten um
die Jahrhundertwende „150 Ausflüge in Hamburgs Umgebung und in die
Lüneburger Heide“. Die vorliegende 17. Auflage zeugt von
der großen Popularität des Buches, für das Gregers Nissen die
Radfahrer-Tipps beisteuerte (was auf der Titelseite dieser Auflage
jedoch nicht erwähnt wird). Der Führer beinhaltet, dem
Erfolgsrezept der Reihe folgend, detaillierte Tourenvorschläge, historische
Hintergründe, Informationen über Gaststätten und Hotels,
wunderschönes Kartenmaterial, ein Ortsverzeichnis und zahlreiche
Werbeanzeigen.
Die Touren führen
nach Blankenese, Itzehoe, Bad Bramstedt, Lübeck, Travemünde,
Ratzeburg, Mölln, Friedrichsruh, Lauenburg, Geesthacht, Helgoland,
Cuxhaven, Wilseder Berg, Fallingbostel, Lüneburg, Hitzacker, usw.
usf.
Die allerste Tour
geht nach Blankenese und bildet damit das herausragende Prunkstück
der Naherholung im Hamburger Umland im frühen 20. Jahrhundert.
Empfohlen wird eine Dampfertour von den Landungsbrücken nach
Blankenese und ein Fußmarsch zurück nach Altona.
„Für
Radfahrer. Schönste Strecke die Elbchaussee.
Altona-Blankenese 10,9 km, Wedel 21,3 km. Lohnend wenn man beim
Bahnhof Blankenese links abzweigt zum Süllberg (Wegweiser);
von hier hinab durch die schönste Schlucht zum Falkental,
dann am Strande entlang über Wittenbergen nach Schulau und
Wedel. Etwas beschwerlich.“ (S. 1)
Über die
wortgewandt gelobte Hansestadt Lübeck erfahren wir: „Für heimische
Radfahrer Nummernzwang; Fremde passieren unbehelligt. Gute
Radfahrwege, durch Schilder kenntlich. Beliebte Spazierfahrten nach
Schwartau (hin und zurück 15,0 km) oder in den schönen
Israelsdorfer Wald.“ (S. 26)
Auch manch
ungewöhnliche Information ist zu entnehmen. Über die Vierlande, bei
der Tour von Moorfleth nach Allermöhe und Curslack, heißt es
beispielsweise: „Sämtliche Deiche sind für Autos und Motorräder
gesperrt!“ (S. 49) Oder über die heutige Tatenberger Schleuse:
„Radfahrer haben für Passieren der Tatenberger Brücke 8 Pf.
Brückengeld zu entrichten.“ (S. 50)
Empfohlen wird auch
der Sprung über die Elbe, nicht zuletzt um die Perspektive zu
verändern: „Finkenwärder bietet dem Naturfreund manche Anregung.
Prächtige Aussichten vom östlichen und westlichen Norderelbdeich
auf das jenseitige Ufer. Ebenso schön ist die Aussicht auf
Blankenese und das hinter Blankenese liegende Elbufer vom Westerdeich
aus.“ (S. 61)
Die Lüneburger
Heide wird Wanderern und auch Radfahrern angepriesen: „Das ganze
Gebiet der Zentralheide eignet sich auch für Touren mit dem
Fahrrade, da zahlreiche Radfahrwege durch die Heide führen, Z. B.
von Schneverdingen zum Wilseder Berg und von diesem wieder nach allen
Richtungen.“ (S. 79)
Teilweise werden
Radfahrer vor schlechten Straßen gewarnt, so lautet es über die
Tour „Hamburg-Bardowieck-Lüneburg“: „Der Weg über
Wilhelmsburg, Harburg, Winsen nach Lüneburg ist nicht zu empfehlen,
da größtenteils schlechtes Pflaster. Man fährt am besten über
Bergedorf (17,3 km), Geesthacht (31,3 km) Elbfähre bei Artlenburg
(44,1 km) nach Lüneburg (60,5 km), Lüneburg-Bardowieck (6,2 km).
Interessante Rückfahrt durch die Hohe Heide über Soltau (51,8 km)
nach Hamburg 112,2 km). Dampfer nach Hamburg.“ (S. 92)
Der Führer „150
Ausflüge“ bietet eine wahrlich erschlagende Fülle an
Informationen; Tipps für Radfahrer tauchen regelmäßig auf,
sind aber vergleichsweise spärlich.
Das Buch schließt
mit zahlreichen Anzeigen für Gastätten und Hotels.