"Velocipéden-Wettreiten" in Altona 1869

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Anzeige zur Industrieausstellung in Altona 1869. Hamburger Nachrichten, 10. September, 1869, Nr. 212, S. 4.

Von Oliver Leibbrand

Vor 145 Jahren fand im Rahmen der Altonaer Landes-Industrieausstellung (27. August bis 27. September 1869) eines der ersten Velozipedenrennen in Deutschland statt. Durch die Besucher der Pariser Weltausstellung 1867 und durch Zeitungen, wie die Leipziger Illustrierte, waren Velozipedenkonstruktionen auch hierzulande bekannt geworden. Bis Ende der 1860er Jahre entstand eine kleine Frontkurbelvelozipedenindustrie, die sich nun in Altona traf, um öffentlichkeitswirksam ihre „Veloziped-Systeme“ in Szene zu setzen.

Mit über 3.500 Ausstellern war diese Austellung eine ideale Gelegenheit auf den Sport und die Frontkurbelvelozipede aufmerksam zu machen. Für noch mehr Anziehungskraft sorgte ein Pferde- und Elephantenrennen, das im Vorfeld ausgetragen wurde. Danach wurden drei Velozipdenrennen über 750, 1.000 und 1.500 Meter, in zwei Abteilungen je 6 resp. 8 Herren, ausgefahren. Es folgte ein Entscheidungsrennen über 500 Meter zwischen den beiden zuerst Angekommenen. Wegen des Velozipeden-Wettreitens hatte man die Eintrittspreise zur Aussstellung an diesem Tag um einen Thaler erhöht.1

Organisiert und durchgeführt wurde das „Velocipéden-Wettreiten“ vom St. Georger Vélocipéden-Club (St.GVC) und vom Eimsbütteler Vélocipéden-Reit-Club (EVRC seit 1881 Altonaer Bicycle-Club von 1869/80). Sowohl im St.GVC, als auch im EVRC, waren Velozipeden-Fabrikanten vertreten. Gleich im ersten Rennen starteten mit dem Kaufmann Harro Feddersen, damals Zahlmeister im EVRC, und mit Ernst Schlüter zwei „Gründungsväter“ des EVRC auf Schlüter-Velocipeden. Diese „Schnellfüßler“ wurden von den Gebrüdern Schlüter in Pinneberg gebaut. Dort hatte Wilhelm Johannes Max Schlüter 1864 eine Eisengießerei mit Fahrrad- und Nähmaschinenfabrikation eröffnet.2

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Veloziped aus der Fabrik der Gebrüder Schlüter. Auf der Plakette am Steuerkopf steht „Schlüter Pinneberg“. Aufnahme: Oliver Leibbrand,September 2007. Wer Interesse hat, kann sich dieses Frontkurbelveloziped in Elmshorn ansehen.http://www.industriemuseum-elmshorn.de

Neben den Velozipeden von Schlüter waren noch Konstruktionen aus Altona, Hadersleben, Berlin, Hamburg, Harburg, Dresden und Stuttgart vertreten. Und im ersten und dritten Rennen startete ein Joseph Brun aus Paris auf einer Konstruktion von Michaux. In den beiden ersten Rennen durfte der Vorderrad-Durchmesser nicht größer als 96 cm sein. Am 10. September 1869 um 15.15 Uhr starteten die Rennen auf dem Platz der Industrieaustellung. Nach hartem Kampf siegte der Kaufmann Otto Eckhardt aus Eimsbüttel, Mitglied des EVRC, in der ersten Konkurrenz auf einem Veloziped von Beinhauer, Hamburg.3 Als Preis durfte er sich einen Aussstellungsgegenstand im Wert von 16 Louisdor (französische Goldmünze mit dem Kopfbild König Ludwig XIII.) aussuchen. Es folgte das Entscheidungsrennen des zweiten Rennens, das der Fahrer Tornquist, ebenfalls Mitglied im EVRC gewann. Tornquist war für den erkrankten Kaufmann Hugo Beinhauer eingesprungen, der im zweiten Rennen mit seiner eigenen Konstruktion an den Start gehen wollte. Auf welcher Velozipeden-Konstruktion Tornquist zum Sieg „ritt“ ist nicht überliefert. Mit dem Altonaer Rechtsanwalt Gülich, dem Hamburger Kaufmann Gelübke und Wilhelm Schlüter, alle auf Schlüter-Velozipeden unterwegs (Vorderrad-Durchmesser 90cm, nur Gülich fuhr auf einer mit 89cm Durchmesser), war der gesamte Vorstand des EVRCs an diesem Rennen beteiligt. Viele Konstrukteure ließen es sich nicht nehmen, auf ihren eigenen „Sytem der Velocipedes", so steht es im überlieferten Programm, an den Start zu gehen. Darunter: Langer, Kaufmann, Berlin; Nielsen, Mechaniker, Hadersleben; Friedrichsen, Mechaniker, Altona; Tewes, Kaufmann, Harburg; Müller, Fabrikant, Berlin; Reinsch, Fabrikant, Dresden und Bauk, Mechaniker, Hamburg. Der Dritte im Bunde der Gebrüder Schlüter, August, startete im dritten Rennen, das als „Freie Concurrenz“, keine Vorgaben in puncto Raddurchmesser machte. Hier war auch der Hamburger Kaufmann C.E. Samuelson am Start. Er baute mit einem Durchmesser von 115cm die größten Frontkurbelvelozipede, die bei den Altonaer Rennen starteten. Vier Konstruktionen schickte Samuelson ins Rennen. Er war darüber hinaus erster Vorsitzender des St.GVC und somit Veranstalter der Rennen.

Die freie Konkurrenz gewann der Mechaniker Weinschenk aus Ribnitz vor Langer aus Berlin, der auf seiner eigenen Velozipede mit einen Vorderraddurchmesser von 92cm den zweiten Platz belegte. Welche Maschine Weinschenk fuhr, ist im Rennprogramm nicht angegeben. „Eine dichtgedrängte Zuschauermenge folgte mit Spannung dem Verlauf des Rennens und begrüßte den Sieger jedesmal mit lautem Applaus“, berichteten die Altonaer Nachrichten.4

Damit sich die Fahrer von den Anstrengungen zwischen den Rennen erholen konnten, wurde in den Pausen Kür-Reiten (Reiten über Hindernisse) angeboten. Dabei mussten die Velozipedisten „eine aus Holz gefertigte Anhöhe hinauf, dann hinunter, eine zweite hinauf, und von dieser wieder herunter“ fahren.5 Manche Fahrer lösten diese Aufgabe mit großer „Gewandtheit und Eleganz“, doch es gelang wohl nicht jedem dieses Kunststück zu meistern, was beim Publikum für Gelächter sorgte.6

Der Altonaer-Bicycle Club von 1869/80 erinnerte zum 25jährigen Vereinsjubiläum an das Velozipeden-Wettreiten in Altona: „Es wurden im Ganzen von den Clubmitgliedern 360 Mark gewonnen: das Geld floss in die Clubkasse, während die glücklichen Sieger ein kleines Geschenk als Andenken an den grossen Tag erhielten. Abends war dann großes Siegesfest im Sottdorf`schen Lokal.“ (Hier gründete sich der EVRC am 17. April 1869. Heute ist dort der U-Bahnhof Emilienstraße. Eine Informationstafel im gegenüberliegenden Weberspark erinnert an den Sottdorf`schen Salon) „Die Sieger wurden mit Lorbeeren geschmückt, allerlei gute Reden würzten das treffliche Festmahl, und damit auch die Damen zu ihrem Recht kamen, schloss ein grosser Ball den denkwürdigen Tag.“7

Bargum, den 14. September 2014

1Vgl. Illustrirte Zeitung Leipzig, Bd. 53, Nr. 1368,18.09.1869, S. 238, zitiert nach: Kielwein, Velozipedrennen und Clubs in Deutschland: Erste Ansätze um 1869. In: Knochenschüttler, Heft 35, 3 / 2005, S. 9.

2Alt-Pinneberg, S. 101. Telefax der Stadt Pinneberg vom 10.10.2007.

3Vgl. Altonaer Nachrichten, Nr. 213, 11. September 1869, Rubrik: Vaterstädtisches und Unterhaltendes, Seitenzahl unleserlich.

4Vgl. Altonaer Nachrichten, Nr. 213, 11. September 1869, Rubrik: Vaterstädtisches und Unterhaltendes, Seitenzahl unleserlich.

5Ebd.

6Ebd.

7Vgl. Die Entstehung und Entwicklung des Altonaer-Bicycle-Clubs 1869/1880, ABC 1894, S. 16.