Das Fahrrad – Behandlung, Reparatur, Hilfsmotor

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Das Fahrrad – Behandlung, Reparatur, Hilfsmotor von Paul Reibestahl, 1. Auflage 1929, Nachdruck Altes Wissen, Johann Kleine Vennekate Verlag, Lemgo 2014.

Von Oliver Leibbrand

„Den Radsport zu fördern, dem Radler zu helfen und ihm Ratschläge zu geben, wie ein Rad zu behandeln und zu reparieren ist, soll der Zweck des Buches sein“, schreibt Paul Reibestahl im Vorwort 1929. 85 Jahre später ist es schön und nützlich dieses „Alte Wissen“ neu aufzulegen, wendet es sich doch vor allem an den Liebhaber historischer Fahrräder, der an seinen „Schätzen“ schraubt, sie liebevoll restauriert und pflegt.

Gut lesbar, leitet Reibestahl mit der geschichtlichen Entwicklung des Fahrrades ein, um dann seine technischen Exkurse, seine Tipps zur Pflege und Reparatur bis hin zum Einbau eines Fahrradhilfsmotors zu beschreiben. Doch zunächst will er hier mal ein wenig „Klarheit schaffen“, denn „bekanntlich“ gibt es viel zu wenig Material, „das objektiv die geschichtliche Entwicklung des Fahrrades schildert“ (S. 9). Da die ersten 50 Seiten nicht nur im Hinblick auf die historische Entwicklung spannend sind, sondern auch den Stellenwert des Fahrrades (Das Fahrrad im Dienste der Menschen S. 36 ff.), das Tourenfahren und Tipps für Frauen (Die Dame und das Fahrrad), behandeln, gehe ich darauf etwas intensiver ein als auf den technischen Teil.

Bei seinen Nachforschungen zur Frühgeschichte des Fahrrades findet Reibstahl nicht nur Hinweise auf den badischen Oberforstmeister Karl Freiherr von Drais, sondern auch einen Artikel aus einer Gelehrten Zeitung über die angebliche Erfindung eines Laufrades1 von Philipp Ignatz Trexler von 1784. Er liest über den Mönch Berthold Schwarz, dem Erfinder des Schießpulvers, dem ebenfalls die Erfindung des Fahrrades zugeschrieben wird und zitiert aus der Zeitschrift Illustrierter Radrenn-Sport von 1926, dass die Chinesen schon 2.300 v. Christus ein Gefährt, dem sie den Namen „glücklicher Drache“ gaben erfanden, was dem Fahrrad „aufs Haar geglichen“ habe (S. 17). Auf seine Anfrage beim Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, wird versichert, dass dort keine trexler`sche Laufmaschine bekannt sei und man nur im Besitz einer unbekannter Herkunft und einer drais´scher Bauart ist. Da Reibestahl keine Belege über andere existierende Laufmaschinen findet, ist es für ihn zwar nicht ausgeschlossen, dass andere an der Erfindung mitwirkten, doch alles in allem, so sein Fazit, „kann man Drais als den Erfinder der Laufmaschinen bezeichnen“ (S. 17.)

Hier wird vor allem deutlich, dass es viele gab, die meist aus patriotischen Motiven für sich die Erfindung des Fahrrades beanspruchten und es für Reibestahl noch 1929 nicht einfach war, diese Frage zweifelsfrei zu beantworten. So gibt es zahlreiche Legenden, die einen britischen, französischen, amerikanischen oder deutschen Weg beschreiben. Deshalb ist die Frühgeschichte des Zweirades sehr fehlerhaft. Das spiegelt sich auch bei Reibestahl wider, der den Tretkurbelantrieb und somit das Tretkurbel-Fahrrad für eine deutsche Erfindung von Philipp Moritz Fischer hält und diese auf 1852 datiert (S. 22). Seriös belegt ist bis heute, dass die eigentliche Innovation des Frontantriebes im U.S.-Patent von 1866 für Pierre Lallement steht. (Vgl.: Begleitwort von Hans-Erhard Lessing, in: Erste deutsche illustrirte Velocipede Brochüre von Hippolyt de Wesez, Wien 1869, Nachdruck Hannover 1995, S. 4). Umstritten ist nach wie vor die Beteiligung an der Entwicklung des Tretkurbelantriebes von Pierre Michaux2, der seine Frontkurbelvelocipede erstmalig bei der Weltausstellung in Paris 1867 zeigte und damit großes Aufsehen erregte. Ins Reich der “Prioritätsmärchen” muss auch der von Reibestahl erwähnte Oberbergrat Professor Joseph v. Baader, der angeblich schon 1820 Tretkurbeln an eine Drais`sche Laufmaschine schraubte (S.27) verwiesen werden. 3 Vom Instrumentenmacher Philipp Moritz Fischer ist belegt, dass er 1869 ein Frontkurbelveloziped nach Pariser Vorbild in Schweinfurt baute. Dieses wurde nach seinem Tod vom hiesigen Gemeindsekretär im Jahre 1891 in einem Leserbrief auf 1853 vordatiert (ebenda H.-E. Lessing, S. 6). Noch 1926 beanspruchte man in Hamburg-Harburg den eigentlichen ersten Erbauer des Fahrrades in dem Maschinisten Friedrich Just, was Reibestahl wahrscheinlich nicht wusste oder bewusst aussparte, da es, wie sich später herausstellte, ebenfalls nicht stimmte (ebenda H.-E. Lessing S. 6 und Rüdiger Articus, in: Das Fahrrad - Eine Erfindung aus Harburg?, in: Harburger Jahrbuch 1993, Band 18. ).

Nachdem die Entwicklung vom Hochrad zum Sicherheitsniederrad und vor allem die wichtige Erfindung des Luftreifens den Durchbruch des Fahrrades möglich machte, folgt im zweiten Teil des Buches der vielversprechende Abschnitt: „Das Fahrrad im Dienste der Menschen“. Auffallend ist der hohe Stellenwert, den das Fahrrad bei Reibestahl einnimmt. Denn für viele, vor allem „Millionen von Arbeitern“ ist das Fahrrad ein unersätzliches Verkehrmittel. Man spart nicht nur das Fahrgeld und pendelt problemslos zwischen Heim und Arbeiststätte, auch am Wochenende liegen die Vorzüge auf der Hand, indem man in die Natur hinausradelt (S. 36 ff.) Auf dem flachen Land und in den Großstädten sei es nahezu unentbehrlich, attestiert Reibestahl. Kleinbetriebe nutzen es als Transportmittel. Für Briefträger, Polizisten, Patrouillen der Reichswehr, Pfarrer und und und, ist es das Fortbewegungsmittel schlechthin; beliebt sei auch der Sport auf Bahn und Straße. Er empfiehlt das gesunde Tourenfahren als Ausgleich zum harten Arbeitsalltag. Sechstagerennen werden stark kritisiert und als „Auswüchse“ des Rennsports bezeichnet, denn nur durch „wahren Sport“ und „vernünftiges“ Fahren „wird der Körper widerstandsfähig und kräftig“ ( S. 40). In puncto Ernährung rät Reibestahl bei Tourenfahrten dringend auf Alkohol zu verzichten und während der Fahrt das Rauchen einzustellen. Sehr amüsant seine allgemeine Empfehlung: „Iß, was dir schmeckt und bekommt und so, wie du es gewohnt bist“.

Überraschend ist dann der knapp dreiseitige Einwurf Hedwig Reibestahls, höchstwahrscheinlich die Frau des Autors, die sich fragt: “Ist das Radfahren für uns Frauen gesundheitsschädlich?“. Sie gibt allerlei Tipps, was zu beachten ist, und rät ebenso ein Übermaß an Verausgabung zu vermeiden. Gerade als Ausgleich zur Bürotätigkeit seien Radpartien erholsam. Sie beugen Krankheiten vor, können auch während der monatlichen Beschwerden und bis zu den letzten beiden Schwangerschaftsmonaten völlig bedenkenlos gefahren werden. Auch modische Ratschläge dürfen da nicht fehlen: „Ob man beim Tourenfahren mit Pumphosen, Breeches (urspüngliche Form der Kniebundhose), geteiltem oder kurzen Rock fährt, sei der Individualität überlassen; hier soll vor allen Dingen die Figur mitsprechen“, rät Hedwig Reibestahl.

Im Achten Abschnitt des Buches werden die verschiedenen Fahrradkonstruktionen mit Abbildungen vorgestellt, wobei Reibestahl Sonderkonstruktionen bewusst ausspart. Mit Ratschlägen zum „richtigen“ in den Sattel niederlassen, Fahren, Bremsen, den Gebrauch der Luftpumpe, spart er nicht. Sehr interessant sind die verschiedenen Arten von Fahrradbeleuchtungen, Öl- und Petroleumlaternen, Karbidlampen und batterie- sowie dynamobetriebene Beleuchtungen, deren Vorzüge der Autor diskutiert. Sehr viele und gute Abbildungen gibt es im Abschnitt zur Bereifung (S. 86 ff) und den verschiedenen Freilaufnabenmodellen (S. 133ff). Letztere werden sehr detailliert mit Querschnittszeichnungen erklärt, sodass der Laie Demontage und Montage selbstständig durchführen kann. Gut verständlich sind auch die Ausführungen zu Rahmen, Bremsen, Räder und Kette. Im letzten Teil des Buches behandelt Reibestahl die Einbaumöglichkeiten eines Hilfsmotors, weil es dadurch kostengünstig für viele Radler möglich ist, die „Annehmlichkeiten eines Motorrades“ zu genießen (S. 203ff). Denn, so unterstellt er: „die Sehnsucht vieler Radler geht wohl dahin, statt des Fahrrades ein Motorrad zu besitzen“. Doch ein paar Seiten weiter heißt es, dass Interesse der Radler an Hilfsmotoren sei unerklärlicher Weise sehr gering (S. 210). So wirbt Reibestahl mit seinen Einbauhilfen für die Hilfsmotoren und beschreibt deren Vorzüge sowie Einbautechnik. Ganz konkret macht er das auf den letzten Seiten für den Ruppe-Fahrrad-Motor und das Öwa-Aggregat, von denen er überzeugt ist.

Reibestahls Werk, das unter dem Eindruck der einsetzenden Weltwirtschaftskrise entstand, gibt eine sehr gute Übersicht zu technischen Details sowie Reparaturen am Fahrrad der 1920er Jahre. Darüber hinaus gibt es auf den ersten Seiten einen kleinen Exkurs zur Fahrradgeschichte und -kultur. Um die fortschreitende Legendenbildung in der Frühgeschichte des Fahrrades zu vermeiden, wäre es sinnvoll gewesen, auf die mittlerweile durch die Fahrradgeschichtsforschung widerlegten Irrtümer hinzuweisen und diese im Vor- oder Nachwort zu kommentieren. Besonders lesenswert macht das Buch seine klare gut, verständliche Sprache, die kontextbezogene reichhaltige Bebilderung (insgesamt 141 Abbildungen) und viel technisches Wissen.

Das Buch „Das Fahrrad – Behandlung, Reparatur, Hilfsmotor“ ist im Taschenbuchformat im Johann-Kleine-Vennekate-Verlag erschienen und dort noch bis zum 21.08.2014 zum Subskriptionspreis von 20 Euro erhältlich.

Bargum / NF, den 03.08.2014

1Die Bezeichnung Laufrad ist für das Zweirad missverständlich, denn dabei handelte es sich damals um eine Trettrommel für Fußarbeiter zum Betreiben von Maschinen. Da heute auch die einzelnen Räder so bezeichnet werden, hat sich der Begriff Laufmaschine für die drais`sche Ära etabliert.

2Reibestahl verwechselt Vater und Sohn, denn Pierre war der Vater und Ernest Michaux der Sohn.

3Das gleiche gilt für die britische Behauptung 1838 habe Kirkpatrick Macmillan ein zweirädriges Velozioped mit Fußhebelantrieb des Hinterrades gebaut.