Heinrich Horstmann: Meine Radreise um die Erde (1895-1897)

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Heinrich Horstmann, Meine Radreise um die Erde vom 2. Mai 1895 bis 16. August 1897, hrsg. und komment. von Hans-Erhard Lessing, Leipzig: Maxime / Verlag Maxi Kutschera, 62007 (Erstaufl. 2000).

Von Lars Amenda

Heinrich Horstmann hatte großen Durst – Tatendurst und auch einen unstillbaren Durst im wahrsten Sinne des Wortes. Als 20-Jähriger machte er sich im Mai 1895 auf, um die Welt mit dem Fahrrad zu umrunden, wobei er allerdings weite Strecken mit dem Schiff zurücklegte. 1898 veröffentliche er einen Bericht über seine Weltreise, den Hans-Erhard Lessing mit einem Nachwort über die Person Horstmann neu herausgegeben hat. Das erstmals im Jahr 2000 erschienene Buch erlebte innerhalb einiger Jahre mehrere Auflagen, was aufgrund des Informations- und Unterhaltungswertes nicht wirklich überrascht.

Heinrich Horstmann kann zwar nicht unbedingt als ein großes erzählerisches Talent bezeichnet werden; er hat jedoch einen eigenen Erzählstil, den ich einmal als „nassforsch“ bezeichnen möchte und der keine klaren Worte scheut. Horstmann war wohl tatsächlich ein „Draufgänger“. Als Auslöser seiner Reise soll eine Wette gestanden haben, dass er die Welt mit dem Fahrrad umrunden und dabei auch noch als vermögender Mann zurückkehren wird – von der Wette war dann später aber nicht mehr die Rede, auch im Bericht wird sie mit keinem Wort erwähnt.

Horstmanns Bericht konzentriert sich sehr stark auf die USA, seine Reise von Dortmund in die Niederlande, durch Belgien und England nach Liverpool handelt er auf zwei Seiten, die Zeit in England sogar in nur zwei Sätzen ab. Die Schiffspassage fasziniert ihn hingegen sehr und und dient ihm als eigentlicher Auftakt seiner Unternehmung, wie wir es auch aus vielen anderen historischen Radreiseberichten kennen. In Philadelphia angekommen, fuhr er nach New York City und blieb dort sechs Wochen, um sich an die dortigen Verhältnisse anzupassen und die Sprache zu lernen, oder in seinen eigenen Worten, um sich „ein wenig zu veramerikanisieren“. (S. 15) Über Albany und Buffalo radelte er zu den Niagarafällen, von denen er aufgrund „ihrer großartigen und staunenenerregenden Pracht“ begeistert ist. (S. 39) Über Pittsburghh und Cincinatti fuhr Horstmann nach Chicago und suchte unterwegs vor allem Anschluss bei Deutschen und Deutsch-Amerikanern. Dies verband er in aller Regelmäßigkeit mit dem Besuch von von Deutschen betriebenen Gaststätten und dem Besuch von Brauereien, etwa in Cincinatti, dessen Bevölkerung um 1900 400.000 zählte und zur Hälfte deutsch war oder eine deutsche Herkunft hatte. Über seine Aktivitäten in Cincinatti schreibt Horstmann: „Der Besuch und die Besichtigung der Brauereien nahm gerade fünf Tage in Anspruch und ich war bei der letzten wirklich froh, daß nicht noch einige vorhanden waren. Eine fünftägige Bierreise!“ (S. 63)

Horstmanns Reise war, strenggenommen, sogar eine deutlich längere „Bierreise“. (Über den bisweilen sehr engen Zusammenhang zwischen Rad fahren und Bier trinken ließe gut sinnieren, vielleicht kommen wir an dieser Stelle bei Gelegenheit einmal dazu …). Doch der tatendurstige Protagonist berichtet nicht nur über Bier und Brauereien. Als deutscher Amerikareisender blickt er kritisch zum einen sehr kritisch auf auf das Verhalten der US-Amerikaner und erkennt vielerorts vor allem „Geschäftemacherei“. Horstmann verfügt zudem einen scharfen Blick auf deutsche Auswanderer und ihre Anpassung an die amerikanische Gesellschaft; regelmäßig verurteilt er Deutsche, wenn sie sich sprachlich und sozial verändern und erkennt darin eine Art von „Landesverrat“. „Wer nicht selbst in den Vereinigten Staaten gewesen und sich davon überzeugt hat, wird kaum glauben, wie schnell das Deutschtum in Amerikanertum aufgeht.“ (S. 240) So sieht er denn vieles während seiner Reise durch eine „deutsche Brille“ und ist wenig geneigt, diese abzunehmen. Dies trifft im Übrigen auch auf Fahrräder zu. In Chicago kaufte er ein neues Rad, ein Crescent, betont jedoch im gleichen Atemzug: „Die Erbauer dieser Marke sind Deutsche und auch der weitaus größte Teil der des kaufmännischen Personals sowie der Arbeiter – man darf also mit Recht behaupten, das diese amerikanischen Maschinen ein Erzeugnis deutscher Kunst und deutschen Fleißes sind.“ (S. 73)

Von Chicago führte seine weitere Reise nach St. Louis und weiter gen Süden. In Texas plagte ihn die Hitze und mancher „Platten“, entlang der mexikanischen Grenze fuhr er über Los Angeles nach San Francisco, wo seine amerikanische Episode endete. Dort bestieg er abermals ein Dampfschiff und reiste über Hawaii, wo er fünf Wochen verbrachte, Mitte Oktober 1896 nach Japan. Seine knappe Schilderung nutzt Horstmann für ein Kurzportrait des Landes.

Am 22. Januar 1897 trat er seine Heimreise auf der „Hohenzollern“ des Norddeutschen Lloyds an. Über die Zwischenstationen Hongkong, Singapur und Kalkutta ging es durch den Suez-Kanal nach Triest, das Horstmann Ende Mai erreichte. Dort bestieg er wieder sein Rad und fuhr Richtung Norden, gelegentlich begleitet von örtlichen Radfahrvereinen. In München erhielt er eine „herzliche Aufnahme“ und verbrachte dort drei Wochen; über Stuttgart, Frankfurt am Main und erreicht erreichte er dann seine Heimat, „nach 27monatlicher Abwesenheit glücklich zurückgekehrt und zum Weltradler a. D. geworden“. (S. 303)

Heinrich Horstmanns Reisebericht ist informativ und unterhaltsam, was für Antialkoholiker allerdings vermutlich nur bedingt zutreffen wird. Neben den Herausforderungen und Unwägbarkeiten einer Radreise um 1900 charakterisiert er ausführlich, wenn auch recht voreingenommen, die von ihm bereisten die Vereinigten Staaten; über die anderen Stationen berichtet er hingegen nur kurz. Horstmanns Bericht ist ein sportlicher Ehrgeiz anzumerken, der ihn vorantrieb und der im Vorfeld seiner Reise die Grundlagen schuf (so soll er ein sehr guter Kunstradfahrer gewesen sein). Nach seiner Weltreise hatte er auch einige Berührungspunkte mit Hamburg, was an dieser Stelle von gewissem Interesse sein dürfte. „Laut Angabe des Enkels hatte Horstmann ab 1900 für mindestens zehn Jahre ein Fahrradgeschäft in Hamburg, Graumannsweg“, so Hans-Erhard Lessing im Nachwort. (S. 317)

Hamburg, den 19. Juni 2014 / Lars