Transcontinental Race
Samstag 18. Juli 2015. – Ich stehe vor einer 10,0 Kilogramm wiegenden Maschine. Sie stellt für mich in gewisser Weise die höchste Evolutionsstufe einer Mensch-Maschine Kombination dar.
10,0 Kilogramm wohl gezogenen, von Hand gefügten Stahls sowie eine Komposition aus Aluminium, Titan und einigen anderen Materialien. 10,0 Kilogramm, die meine Muskelkraft effektiv in Bewegung umsetzen werden und mich mit meiner Minimalausrüstung einem definierten Ziel entgegen bringen werden.
Behutsam wische ich mit einem weichen Tuch den Staub der letzten Fahrt von den Rahmenrohren.
Jedes wichtige Detail wird einer letzten Prüfung unterzogen. Schweigend und gedankenversunken bleibe ich vor meiner Maschine stehen. Meinem Randonneur-Rad, das mir Günter Krautscheid gebaut hat.
Wahrscheinlich geht es in diesem Moment rund zweihundertdreißig über Europa verstreuten Pedaleuren ebenso wie mir. Gedanken kreisen um Fragen, Sorgen und Unwägbarkeiten…aber auch die kraftvolle, innere Haltung, das Ziel zu erreichen.
Wie die Mücken ins Licht, werden die Pedaleure am Freitag den 24.07.2015 in das Zentrum von Geraardsbergen in Flandern streben, um exakt zur Mitternacht im Scheine ihre Kopf- und Radlampen aufzubrechen.
Aufzubrechen zum Transcontinental Race, einem Radrennen der besonderen Art. Die Philosophie des Rennens ist ein ‚unsupported Race‘. Das bedeutet jeder Fahrer trägt ausschließlich selber Sorge für seine Logistik. Unterstützung durch Dritte, wie etwa Begleitfahrzeuge, ist nicht erlaubt. Damit greift das Rennen den Geist der Geschichte der großen Rundfahrten auf. In den Anfängen konnten die Fahrer nicht auf Unterstützung hoffen und waren absolut auf sich allein gestellt. Beispielsweise mussten sie Reparaturen gemäß Reglement komplett alleine ausführen. Dramen haben sich ereignet und Mythen sind entstanden. Noch heute zählen diese zu den ganz großen Geschichten des Straßenradsports.
Wenn wir in Geraardsbergen starten, wird jeder Fahrer seine eigene große Geschichte erleben und innerlich festschreiben. Die Stoppuhr läuft vom Start bis zum Ziel. Jeder wählt seine Route, seine Etappen und seinen Rhythmus. Vier Kontrollpunkte sind während des Rennens zum Abstempeln der Brevet Karte anzufahren. 1. Mount Ventoux (ganz oben) 2. Strada dell’Assietta (ca. 40 km Schotter und ganz viel oben) 3. Vukovar (Kroatien ganz unten rechts) 4. Mount Lovcen, Montenegro (wieder ganz oben). Vom vierten Kontrollpunkt geht es (mehr oder weniger) direkt zum Ziel : Istanbul (Gesamtstrecke etwa 4.200 Kilometer)…
Weiteres nach der Rückkehr oder vielleicht auch mal von unterwegs.
Andreas, Startnummer 127