Altona. Geschichte einer Stadt

Holmer Stahncke, Altona. Geschichte einer Stadt, Hamburg: Ellert & Richter Verlag, 2014, 384 S., 19,95 EUR.

Von Lars Amenda

Der erste, flüchtige Blick ins Buch endet mit einer kleinen Enttäuschung. Im umfangreichen  16-seitigen Stichwortverzeichnis wird der Altonaer Bicycle-Club … nicht erwähnt. Nun war und ist der ABC sicherlich nicht der Nabel und eine Nichtnennung somit verzeihlich. Geben wir der anlässlich des 350-jährigen Stadtjubiläums erschienenen Publikation also eine zweite Chance. Und diese nutzt das von Holmer Stahncke verfasste Porträt der einstmals  eigenständigen Stadt und des heutigen Hamburger Stadtteils eindrucksvoll. Die reiche und vielschichtige Altonaer Geschichte wird kompakt und doch umfangreich genug ausgebreitet, das gut geschriebene Buch kann zudem mit zahlreichen Abbildungen aufwarten, was die Lektüre erfrischt.

Von Anfang an entwickelte sich Altona im Schatten und im Spannungsfeld zu Hamburg. Es begann 1536 mit der beim heutigen Pepermöhlenbek gelegenen Kneipe von Joachim von Lohe, welche die Hamburger Stadtväter vergeblich zu verhindern versuchten. Der Sage nach habe der Krug „All to nah“ geheißen, weil er sich eben allzu nah an der Grenze zu Hamburg befand; tatsächlich hatte der Name „Altona“ wohl einen anderen Hintergrund und geht vermutlich auf „Altenau“ zurück, was „altes Wasser“ bedeutet. Altona wuchs jedenfalls trotz der Hamburger Widerstände und erhielt 1664 vom dänischen König Friedrich III. das Stadtrecht. Im 18. Jahrhundert erlebte die Stadt unter der dänischen Herrschaft, vor allem durch den Fernhandel bedingt, einen wirtschaftlichen Aufschwung, der zu einem „goldenen Zeitalter“ führte. Die Einwohnerzahlen stiegen in dieser Zeit ebenfalls auf 24.000 um 1800. Im 17. Jahrhundert bildete sich bereits eine bedeutende jüdische Gemeinde, verstärkt durch vertriebene portugiesische Juden (Sepharden), wovon heute nur noch der Friedhof an der Königstraße zeugt.

Mit dem Ende des preußisch-dänischen Krieges wurde Altona 1864 preußisch, wobei die Altonaer Bevölkerung sich mehrheitlich weniger preußisch als holsteinisch fühlte. Altona erlebte in den anschließenden Jahrzehnten eine erhebliche Industrialisierung, was durch die Eingemeindung Ottensens (neben Bahrenfeld und Övelgönne) signifikant verstärkt wurde. In Altona und insbesondere Ottensen befand das Zentrum der Fisch verarbeitenden Industrie in Deutschland, neben anderen Industrien wie der Eisenverarbeitung und der Tabakindustrie.

Nach dem sozialdemokratisch geprägten „Neuen Altona“ unter dem Oberbürgermeister Max Brauer in den 1920er Jahren beendeten die Nationalsozialisten die Eigenständigkeit der Stadt, indem sie diese im Zuge des „Groß-Hamburg-Gesetzes“ 1936/37 dem großen Nachbarn zuteilten. Altona wurde damit zum Hamburger Stadtteil degradiert und viele Straßen mussten in der Folge umbenannt werden. Der Bombenkrieg löschte dann im Zweiten Weltkrieg das Herz Altonas, die zwischen Bahnhof und St. Pauli gelegene Altstadt nahezu komplett aus.

Holmer Stahncke erzählt die Geschichte der Stadt auf unterhaltsame Weise und verzahnt diese gekonnt mit der Hamburger und dänischen Entwicklung, wie auch mit der „größeren Geschichte“. Sein Fokus liegt vor allem auf der Politik und der Wirtschaft, ebenso wie auf der baulichen Entwicklung. Ich vermisse ein wenig eine stärker kulturgeschichtliche Perspektive; über die Alltagskultur der Bevölkerung wie auch über die große Sport-Begeisterung finden sich nur spärliche Informationen. Über das Gründungsmitglied des DFB, Altona 93, verliert der Verfasser lediglich eine knappe Randnotiz. Der große Altonaer Fußballer und Nationalspieler Adolf Jäger wird mit keinem einzigen Wort erwähnt. Ohne Sport, so meine vorsichtig in den Raum geworfene These, lässt sich jedoch die Gesellschaft des 19. und 20. (ebenso wie des 21.) Jahrhunderts kaum hinreichend verstehen. Auch die vielen „Gastarbeiter“, die Altona seit den 1960er Jahren entscheidend mitprägten, hätten sicherlich mehr als zwei Sätze verdient gehabt (S. 335).

Trotz dieser Kritik weiß das Buch aber zu gefallen und wird die nächsten Jahre zu Recht das Standardwerk über die Altonaer Stadtgeschichte sein. In einer Zeit, in der sich Altona rasant wandelt, was Holmer Stahncke unter dem Stichwort „Gentrifizierung“ ebenfalls diskutiert und in die längere historische Perspektive einordnet, kann der Blick zurück sicherlich nicht schaden.

Hamburg, den 3. November 2014