Handbuch des Radfahr-Sport (1895)

Moriz Band, Handbuch des Radfahr-Sport. Technik und Praxis des Fahrrades und des Radfahrens, Lemgo: Johann Kleine Vennekate Verlag, 2013 (Erstaufl. 1895), 319 S., 25,00 EUR.

Von Lars Amenda

„Wie selten ein Sportzweig ist das Radfahren in alle Kreise der civilisirten Welt, in alle Fasern des modernen Verkehrslebens eingedrungen und kaum einen Rivalen hat das ‚Stahlrad’ in der Gunst von Jung und Alt zu fürchten. Nach einem halben Jahrhundert langsamer Entwicklung ist die Fahrradindustrie und der Radfahrsport auf jenem hohen Punkte angelangt, von dem aus das Radfahren zu einem bedeutenden Factor im öffentlichen Leben geworden ist.“ (S. VII)

Mit diesen triumphierenden Worten eröffnet der österreichische Kulturkritiker Moriz Band (1864-1932) sein „Handbuch des Radfahr-Sport“. Das Handbuch bot dem Fahranfänger eine umfassende Einführung und dem bereits geübteren Fahrer ein detailliertes Nachschlagewerk. Gegliedert ist das Buch in fünf Haupteile, die jeweils das Fahrrad, das Radfahren, das „Rennfahren“, Tourenfahren und schließlich das „Radfahren der Damen“ behandeln.

Im ersten Teil stellt Moriz Band ausführlich die Technik und Funktionen des Fahrrads vor. Mittels zahlreicher gezeichneter Abbildungen erläutert er Rahmen, Reifen, Lenker, Sattel, Lager, Naben, Lampen, aber auch Zubehör wie Taschen und Werkzeug. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Jahr 1895 hatte sich das luftbereifte Niederrad innerhalb weniger Jahre etabliert und vollständig durchgesetzt. „Wie sich das Niederrad im Fluge die Welt erobert, so folgte ihm  auch das Pneumatic [= Luftreifen], und diesem ist zum grössten Theil der Siegeszug des Niederrades zu verdanken.“ (S. 66f) Die zurückliegende Phase der Hochräder wertet Moriz Band als eine Irrung ab und die nur noch wenigen Hochradfahrer Mitte der 1890er Jahre tituliert er gar als „radfahrende Sonderling[e]“. (S. 87) 

Das folgende Kapitel widmet sich dem Radfahren und wirkt heute bisweilen unfreiwillig komisch. Band erklärt den Auf- und Abstieg, gibt Tipps bezüglich Kleidung und Ernährung und warnt eindringlich vor einer zu sportlichen Haltung auf dem Rade. Der sportliche Fahrer, „der mit geducktem Schädel und krummen Rücken, halb Circusclown, halb Sportgigerl, auf seinem Gestelle fortwurstelt“ (S. 135), wird von ihm kritisiert und ein wenig lächerlich gemacht. Neben angeblichen gesundheitlichen Gefahren gehe es in dieser Frage um die allgemeine „Haltung“ des Fahrers, die hier zum Vorscheine komme und nach bürgerlichen Gustus eben nicht zu gekrümmt, sondern eine gerade zu sein hatte.

Etwas überraschend wirkt deshalb die lobende Würdigung des Radrennfahrers in darauf folgenden Kapitel: „[D]er Rennfahrer repräsentiert das Vollblut unter den Radfahrern und dient, sofern er Erfolge aufzuweisen hat, als leuchtendes Vorbild für seine Sportgenossen.“ (S. 174) Band erläutert das Fahren und die Regeln auf der Bahn, die Prinzipien des Trainings und die Relevanz einer sorgfältig ausgewählten Ernährung. Bei Letzterer rät er zu magerem Fleisch und rät vom Verzehr von Gemüse und Mehlspeisen ab (S. 143); Alkohol sei – bis auf verdünnter Weißwein – ebenfalls nicht vorteilhaft. Das Kapitel schließt mit den umfangreichen „Wettfahr-Bestimmungen“ des Deutschen Radfahrer-Bundes (S. 205-281).

Sehr positiv bewertet Moriz Band das „Tourenfahren“, das dem „Wanderleben“ neue Impulse gegeben haben. Das moderne Fahrrad habe räumliche und mentale Grenzen überwunden; „im Zeitalter der Distanzfahrten“ imponiere die Menschen „höchstens eine noch eine Radreise um die Erde, wie sie auch thatsächlich bereits gemacht wurde“. (S. 285)   Der Verfasser befürwortet zum Schluss das Radfahren der Frauen, die das „dasselbe Anrecht auf die ebenso angenehme als zuträgliche Leibesübung und die damit verknüpften Genüsse“ hätten wie die Herren. (S. 304)

Das „Handbuch des Radfahr-Sport“ stellt zusammengefasst ein aufschlussreiches historisches Dokument dar, das die Erfolgsgeschichte des modernen, luftbereiften Fahrrads widerspiegelt und diese im überschwänglichen Tonfall bejubelt. Die Neuauflage des Buches hat ein anderes Umschlagbild als die Erstauflage erhalten, was meiner Meinung hätte erwähnt werden sollen. Auch die nicht immer in bester Druckqualität wiedergegebene Schrift scheint mir vergrößert worden zu sein. Diese Kritikpunkte schmälern den Wert und den heutigen Lesegenuss von Moriz Bands bald 120 Jahre altem Handbuch glücklicherweise jedoch nur unwesentlich.

Hamburg, den 30. September 2014