StadtRAD Hamburg - eine ästhetische und philosophische Hetzschrift

Von Lars “Landrad” Amenda

Im Juli 2011 wurde das StadtRAD Hamburg eingeführt und erfreut sich einer ungebrochenen und immer weiter steigenden Beliebtheit bei der Hamburger Bevölkerung und Besucherinnen und Besuchern. Aktuell existieren 131 Leihstationen mit insgesamt 1.650 Rädern, wie einem bekannten Internet-Lexikon zu entnehmen ist. Weitere Stationen sind geplant, nicht zuletzt, weil sich die Standorte in der Innenstadt ballen und in den Außenbezirken deutlicher seltener anzutreffen sind. „Gefühlt“ sind deshalb im Stadtkern auch deutlich mehr Räder unterwegs als es die Ziffer 1.650 vermuten lässt; zwar ist es – noch – keine Invasion der StadtRÄDER, aber es ist wohl nicht ganz falsch zu behaupten, dass die, wie soll ich es sagen, „markanten“ Leihräder das Hamburger Stadtgebiet mittlerweile in gewissem Maße mitprägen. Auch wenn ich persönlich diesbezüglich über keinerlei eigene Erfahrungen verfüge, so liegen die Vorteile und der große Reiz des Ausleihsystems auf der Hand, habe ich mir sagen lassen. Man kann per Smartphone die nächste Radstation ausfindig machen, sich dort einloggen, eine halbe Stunde kostenfrei zum Friseur oder zu einer in der Nähe gelegenen Pommesbude fahren, stellt das dann das rote Gefährt wieder an einer anderen Station ab, um sich dann den eigenen Geschäften, der professionellen Haarpflege oder der mehr oder minder gehobenen Schnellküche zu widmen. Nach der in der Regel kurzen Fahrt mit dem rund 20 Kilogramm schweren Ferrari-roten „Renner“ entledigt sich der User dann ebendiesem wie einem gesichts- und geschichtslosen Einkaufswagen und übergibt ihm seinen weiteren Schicksal in der Station.

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                                                 Das gemeine StadtRAD

So weit, so gut. Pragmatismus mag durchaus seine Berechtigung haben. Ich bin teilweise selbst ein glühender Anhänger pragmatischer Lösungen. So finde ich beispielsweise Bierdosen recht praktisch. Aber: In Bezug auf Fahrräder und das Fahrradfahren kann und darf der Primat des Praktischen nicht der alles bestimmende Faktor sein. Die per eigener Muskelkraft erzeugte Mobilität auf dem Fahrrad ist zwar in der Tat äußerst praktisch, preisgünstig und gesund, wie man mittlerweile überall, etwa in der Apotheken-Rundschau lesen kann; sie ist aber auch ein ästhetischer Gewinn, der seit dem späten 19. Jahrhundert über Jahrzehnte geformt und gefestigt wurde und der das Fahren erst zum vollendeten Genuss macht. Dabei geht es beileibe nicht nur um eine möglichst hohe Effizienz, wie sie Rennmaschinen bereits seit der Zeit um 1900 angestrebt haben. Die Schönheit der Form eines Diamant-Rahmens, die harmonische Einfachheit klassischer Fahrräder erwärmt das Herz des Betrachters und des Fahrers gleichermaßen. Im Idealfall werden der Mensch und die „Maschine“ - das Fahrrad - zu einer Einheit, die um so inniger sein wird, wenn das Rad der Anatomie des Fahrers und der Fahrerin „entgegenkommt“ und deren Muskelkraft möglichst direkt in Bewegung umwandelt.

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Das StadtRAD und andere Fahrradverleihsysteme sieht sich ganz offenkundig nicht in einer ästhetischen Tradition. Im Gegenteil, man hat den Eindruck, dass die StadtRÄDER möglichst unvorteilhaft, um nicht zu sagen: potthässlich aussehen sollen. Sie sind wie viele Automobile unserer Zeit kühle Instrumente der Mobilität und führen zu, ja mir fällt kein passenderer Begriff ein - visueller Umweltbelastung, mehr noch: optischer Umweltverschmutzung. Keine vier Minuten kann der geneigte Hamburger und die verehrte Hamburgerin mehr flanieren, ohne ein  vorbeischleichendes StadtRAD zu sehen und vor allem ertragen zu müssen. Die durch das StadtRAD Hamburg betriebene „McDonaldisierung“ des Radfahrens ist eine Geißel unserer Zeit, macht sie doch die schöne und hehre Idee der Gleichheit zunichte, indem alle Akteure und Profiteure des Leihsystems gleichermaßen unvorteilhaft aussehen.

Doch nicht nur in ästhetischer Perspektive ist das StadtRAD eine Zumutung für den Freund und die Freundin traditioneller Werte und Formen. Wie sieht es denn mit den philosophischen und alltagskulturellen Implikationen und Folgekosten des StadtRAD-Kosums aus? Das StadtRAD ist ein Ding, ein unförmiges und potthässliches Ding, wenn ich mich ausnahmsweise einmal wiederholen darf, das dem Benutzer nicht gehört. Man braucht es nicht pflegen, man braucht die Kette nicht ölen, man braucht eigentlich gar nichts zu machen, außer ein- und ausloggen, vielleicht noch die Höhe des Sattels verstellen, der Rest wird dann heimlich, still und leise von städtischen Bediensteten verrichtet. Doch für welchen Preis! Ohne an dieser Stelle  das Hohelied des Eigentums singen zu wollen, mündet die VerStadtRADisierung des urbanen Raums direkt in der sozialen Verlotterung. Ich kann dies im Übrigen durchaus profund beurteilen, da ich direkt gegenüber einer StadtRad-Station mein Domizil habe. Was wird dort herumgezerrt, minutenlang genestelt, genervt und hasserfüllt um sich geblickt, diejenigen aggressiv gemustert, die sich gerade das letzte StadtRAD gesichert haben. Das lässt sich selbst von dem wortgewandtesten Schriftsteller kaum in Worte fassen. Ich habe sogar schon einen StadtRAD-User beobachten können, der wutentbrannt das unschuldige, unförmige Leihrad mit brutaler Gewalt zu Boden geschleudert hat, weil irgendetwas nicht fuktionierte. Kurzum: das öfffentliche StadtRAD birgt und produziert solch ein Aggressionspotential, das einem angst und bange werden kann. Dies kann nicht im Sinne des  Erfinders sein, der an Mobilität, Mobilität, Mobilität, …, Umweltschutz, Befriedung des öffentlichen Raumes und Förderung der persönlichen Gesundheit gedacht hat und doch nach Abwägung aller Vor- und Nachteile nachgerade das Gegenteil der eigentlichen Ziele erreicht.  
 
Welch starker Kontrast bildet der StadtRADfahrer doch zum begeisterten Fahrradfahrer im Besitz eines innig geliebten Rades. Das Fahrrad dient nicht nur der Fortbewegung von A nach B, die Besitzerin und der Besitzer bauen doch vielmehr eine emotionale Bindung zu ihrem Rad auf. Man war damit auf dem Kiez, im alten Elbtunnel, beim Volksparkstadion, auf dem Mont Ventoux, usw. und verbindet die Erinnerungen daran mit seinem Fahrrad. Dies ist eine Schule der zärtlichen Erinnerungsarbeit, der Demut, der Moral, ein Dienst an der Liebe. Das StadtRAD hingegen ist das genaue Gegenteil, lieblose Uniformität im Namen des Totschlagarguments der Mobilität. Ohne mich. Ich sage „nein“. Und wollte zumindest vor den Gefahren des StadtRADs gewarnt haben …

Hamburg, den 14. Januar 2015